Französisch, die Sprache, die aus allem etwas Schönes
macht
Das deutsche Wort “Ausgangssperre“ ist nicht sanft. Es klingt hart
und ehrlich. „Lockdown“ entspricht dem funktionalen Englisch. Es tönt, wie es
ist. So wie „Stay the fuck at home!“. Alles klar.
Hier in Frankreich ist man „confiné“. Klingt nach „fein“,
nach „man ist verfeinert“. Wenn man es
sprachlich genauer betrachtet, bedeutet es allerdings eher: „Wir sind dem Ende
nahe – Wir haben die Grenze erreicht.“ Dass das Wort „Grenze“ mit dem Wort
„Ende“ („fin“) gebildet wird, ist wiederum nationaltechnisch aufschlussreich. Italienisch: Confine dello stato.
Ende, finito, fertig. Ciao amici, finito spaghetti! (Dass die Brücken
jenseits der confine nicht in sich zusammenstürzen, tut dem Ausdruck nichts an
– confine del mondo!)
Wenn Englisch und Deutsch sich guten Tag sagen: Den Lockdown
lockern. Besänftigend, isn`t it? Man sucht nach Motiven für die Beibehaltung
oder Lockerung des Locks – nach Lockomotiven.
Mir fehlt die Unterhaltung. Die sprachliche. Also findet sie
im Kopf statt: Lesen, nachdenken, schreiben. (Selbstgespräche sind nicht sehr
ergiebig.) Nix rumschwatzen, nix Schräges erleben, nix Weisswein trinken an den
bereitstehenden Tischen auf dem Dorfplatz. Der einzige Mensch, der mir schon
mehrmals begegnet ist und durch fröhliches Grüssen Lust auf ein rencontre ausstrahlt,
ist die Dorfalkoholikerin mit Windjacke, Netzstrümpfen und Bierdose in der
Hand.
Ici on est
confiné. Voilà. Konfektion und Konfitüre. Oh Frankreich, auch dein Käse
ist weich! „Käse“ ist ein Milchprodukt, sachlich korrekt, wogegen „fromage“ den
Gaumengenuss schon im Wort anklingen lässt. „Cheese“ ist ein Nahrungsmittel.
Um den Wohnwagen zu verlassen, brauche ich nicht eine
Bewilligung, sondern eine „Attestation de Déplacement Dérogatoire“. Ja, diese
–age und –ment und –oire machen alles zu Weichkäse. Und geheimnisvoll – „dérogatoire“. Auf diesem Formular muss ich „je
certifie que…“ ankreuzen. Dass
mein déplacement z.B. „aux besoins des animaux de compagnie“ stattfinde. Was
wie eine Zeile eines Gedichtes klingt, heisst einfach, dass ich mit dem Hund
scheissen gehen muss. Weichkäse!
Wie gut habe ich es in Frankreich! Die Landschaft hat sich
der Sprache schon längst angepasst. Sie ist weich, mild, sanft, hell, warm. Aux
besoins des confinés coronoires.
Ich bin confiné – nicht in der eigentlichen Bedeutung des
Wortes, sondern nach dessen Klang. Ich bin in der „confinage“ (vielleicht gibt
es dieses Wort…) oder in der Confiserie. Das müsste dann auf Deutsch sinngemäss
„Wohlfühloase“ bedeuten. Ich habe einen ruhigen Platz zwischen Rebstöcken und
dem canal. Mein RollingWohlfühlHome hat ein grosses Bett, ein Sofa, einen
Tisch, einen Kochherd, Strom, Wasser, eine Dusche und einen Garten. Fehlt mir
etwas, hole ich es (einmal in der Woche) im Supermarché von Capestang. Der Wein
ist gut und günstig. Cognac musste ich noch keinen kaufen – die Reserven aus
Armenien und der Ukraine sind noch nicht aufgebraucht.
Manchmal sehne ich mich nach England zurück. Dort hatte ich
die Wahl, wann ich wo welches Fussballspiel besuche. Und ich konnte per Handy
(den Satelliten und säuselnden Funkantennen sei Dank) auch Schweizer Spiele
verfolgen. Den Hüppi-Sutter-Zeidler-Fussball! Und jetzt? Ab und zu ein
Lückenfüller-Bericht, wie die Spieler zuhause Liegestützen machen oder mit
ihrem Nachwuchs Lego-Burgen bauen.
Ich könnte den Canal der bald quatre semaines verlassen und 2`716
Kilometer weiter fahren. Dann wäre ich in Minsk. Bei Luki Lukaschenko im weiten
Belarus. Er gibt seinen Fussballern immer noch freien Auslauf. Einen
spezifischen Lockdown hält er nicht für nötig. Bzw. er hat ihn schon vor Jahren
erlassen – den allgemeinen politischen Lockdown. Darüber würde ich mich dann in
der Halbzeitpause in der VIP-Loge mit ihm unterhalten, bei Kaviarbrötchen und
Krim-Sekt. Oder doch eher darüber, wie das 0:1 hätte verhindert werden können…
Ich bleibe.
– Je confine, donc je suis.