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Donnerstag, 9. April 2020

Le "confinage"










Französisch, die Sprache, die aus allem etwas Schönes macht


Das deutsche Wort “Ausgangssperre“ ist nicht sanft. Es klingt hart und ehrlich. „Lockdown“ entspricht dem funktionalen Englisch. Es tönt, wie es ist. So wie „Stay the fuck at home!“. Alles klar.
Hier in Frankreich ist man „confiné“. Klingt nach „fein“, nach „man ist verfeinert“.  Wenn man es sprachlich genauer betrachtet, bedeutet es allerdings eher: „Wir sind dem Ende nahe – Wir haben die Grenze erreicht.“ Dass das Wort „Grenze“ mit dem Wort „Ende“ („fin“) gebildet wird, ist wiederum nationaltechnisch aufschlussreich. Italienisch: Confine dello stato. Ende, finito, fertig. Ciao amici, finito spaghetti! (Dass die Brücken jenseits der confine nicht in sich zusammenstürzen, tut dem Ausdruck nichts an – confine del mondo!)
Wenn Englisch und Deutsch sich guten Tag sagen: Den Lockdown lockern. Besänftigend, isn`t it? Man sucht nach Motiven für die Beibehaltung oder Lockerung des Locks – nach Lockomotiven.
Mir fehlt die Unterhaltung. Die sprachliche. Also findet sie im Kopf statt: Lesen, nachdenken, schreiben. (Selbstgespräche sind nicht sehr ergiebig.) Nix rumschwatzen, nix Schräges erleben, nix Weisswein trinken an den bereitstehenden Tischen auf dem Dorfplatz. Der einzige Mensch, der mir schon mehrmals begegnet ist und durch fröhliches Grüssen Lust auf ein rencontre ausstrahlt, ist die Dorfalkoholikerin mit Windjacke, Netzstrümpfen und Bierdose in der Hand.  
Ici on est confiné. Voilà. Konfektion und Konfitüre. Oh Frankreich, auch dein Käse ist weich! „Käse“ ist ein Milchprodukt, sachlich korrekt, wogegen „fromage“ den Gaumengenuss schon im Wort anklingen lässt. „Cheese“ ist ein Nahrungsmittel.
Um den Wohnwagen zu verlassen, brauche ich nicht eine Bewilligung, sondern eine „Attestation de Déplacement Dérogatoire“. Ja, diese –age und –ment und –oire machen alles zu Weichkäse. Und geheimnisvoll  – „dérogatoire“. Auf diesem Formular muss ich „je certifie que…“ ankreuzen. Dass mein déplacement z.B. „aux besoins des animaux de compagnie“ stattfinde. Was wie eine Zeile eines Gedichtes klingt, heisst einfach, dass ich mit dem Hund scheissen gehen muss. Weichkäse!
Wie gut habe ich es in Frankreich! Die Landschaft hat sich der Sprache schon längst angepasst. Sie ist weich, mild, sanft, hell, warm. Aux besoins des confinés coronoires.


Ich bin confiné – nicht in der eigentlichen Bedeutung des Wortes, sondern nach dessen Klang. Ich bin in der „confinage“ (vielleicht gibt es dieses Wort…) oder in der Confiserie. Das müsste dann auf Deutsch sinngemäss „Wohlfühloase“ bedeuten. Ich habe einen ruhigen Platz zwischen Rebstöcken und dem canal. Mein RollingWohlfühlHome hat ein grosses Bett, ein Sofa, einen Tisch, einen Kochherd, Strom, Wasser, eine Dusche und einen Garten. Fehlt mir etwas, hole ich es (einmal in der Woche) im Supermarché von Capestang. Der Wein ist gut und günstig. Cognac musste ich noch keinen kaufen – die Reserven aus Armenien und der Ukraine sind noch nicht aufgebraucht.
Manchmal sehne ich mich nach England zurück. Dort hatte ich die Wahl, wann ich wo welches Fussballspiel besuche. Und ich konnte per Handy (den Satelliten und säuselnden Funkantennen sei Dank) auch Schweizer Spiele verfolgen. Den Hüppi-Sutter-Zeidler-Fussball! Und jetzt? Ab und zu ein Lückenfüller-Bericht, wie die Spieler zuhause Liegestützen machen oder mit ihrem Nachwuchs Lego-Burgen bauen.
Ich könnte den Canal der bald quatre semaines verlassen und 2`716 Kilometer weiter fahren. Dann wäre ich in Minsk. Bei Luki Lukaschenko im weiten Belarus. Er gibt seinen Fussballern immer noch freien Auslauf. Einen spezifischen Lockdown hält er nicht für nötig. Bzw. er hat ihn schon vor Jahren erlassen – den allgemeinen politischen Lockdown. Darüber würde ich mich dann in der Halbzeitpause in der VIP-Loge mit ihm unterhalten, bei Kaviarbrötchen und Krim-Sekt. Oder doch eher darüber, wie das 0:1 hätte verhindert werden können…
Ich bleibe. – Je confine, donc je suis.