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Montag, 7. September 2020

2. Der Weg ins Tessin

 





Pflicht-Schulreise: Die Kirche von Wassen.

 

 

Das Kirchlein mehrmals von verschiedenen Seiten erscheinen sehen, mal durchs eine, mal durchs andere Fenster, wenn der Gotthard-Zug wieder aus einem Kehrtunnel herauskommt. Die Kirche, die im Dorf stehen soll, steht über dem Dorf auf einem Hügel. Da stand sie wohl schon vor den Kehrtunnel-Schaulustigen. Aber keiner geht wirklich hin. Die ohrenbetäubend lauten Töff-Fahrer gehen auf dem Weg zum Sustenpass unter ihr durchs Dorf hindurch. Entlang der Stufen, zwischen den Töff-Heulern und der Kirche, befindet sich eine kleine Marien-Kapelle. Und die Maria zeigt ohne Gnaden, wie sie sich fühlt im engen und übernutzten Transittal der modernen Mobilität, nämlich als würde man ihr Schwerter in Brust und Herz bohren. Ihr Blick ist (weltlich!) leidend, ihre nach oben gekehrten Handflächen fragen: „Was kann ich denn verdammt gegen all das tun?“ Draussen vor der Tür hockt der Melchior auf einem toten Geissbock. Triumph sieht anders aus.

Auf dem Susten macht die Motorrad-Prozession Halt. Weil ein Lichtlein brennt. Ein rotes. Wegen einer Baustelle. Beim Re-Start wird im Pulk losgeprescht. Das Postauto mit den paar handverlesenen Maskenträgern hat keine Chance gegen die röhrenden Behelmten.

Weiter über den Grimselpass. Schon wieder ein Pass. Schon wieder archaische Bergwelt, die nur dem Herrgott und dem Teufel gehört – und uns natürlich. Wir sind verwöhnt damit. Und verwöhnt mit perfekten Strassen, die darüber führen. Und mit saukalten Stauseen und Wasserreserven, die das Leben in den mittelländischen Schlafzimmern erträglich machen. Die paar Restaurant-Gebäude auf der Passhöhe sind hässlich. Gelten eigentlich auf den Passhöhen keine Bau- und Heimatschutzgesetze? Bestimmen dort, wo der Felsanteil mehr als 50% ausmacht, die Landesverteidigung und die Wasserwerke die Ästhetik? Oder gelten andere Gesetze? (Über 2000m dürfen die Schüler den Lehrer duzen, zum Beispiel.)

Von dem Grimsel kommt man „abe“ (nicht mehr „appe“) nach Gletsch. Ein typischer Unten-aber-immer-noch-oben-Ort. Keine Häuser, jedoch ein paar mächtige, alte Gebäude. Das auffallendste heisst „Hotel Glacier du Rhone“. Da müsste also ein Gletscher in der Nähe sein. Aber wo? Der Schlüssel liegt in diesem Fall nicht beim Pfarrer, sondern im Klimawandel. Ein Gemälde im kleinen Museum zeigt, wie der Gletscher im 18. Jahrhundert bis hinunter hinter das Hotel reichte. Allein die Aussicht aus den Hotelfenstern musste für die englischen Touristen die Reise wert gewesen sein. Und beim morgendlichen Zähneputzen mit dem milchig-kalten Gletscherwasser gurgeln. Der Tee konnte danach heiss genossen werden, die mitgereisten Fasane mit Pfefferminzsauce ebenfalls, und die Waschküche war der Gästeschar gewachsen, denn nebenan steht das Gebäude der Elektrizitätsversorgung. Mit „Maschinenfabrik Oerlikon Schweiz“ und „Theodor Bell Kriens“ sind die Aggregate beschildert. Unter einem Bedienungshebel steht „Waschküche“.

Als nächster folgt der Nufenenpass. Vom Wallis ins Tessin. Kalte Berge rundherum (was denn sonst?), ein Gletscher in einiger Entfernung (wie heisst er?) und das Hospiz-Gebäude in Rosa gehalten (warum nicht?).