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Dienstag, 14. Dezember 2021

Fussball und meine Flammen


 

 

 

 

Vom Piknikland zum Stadion

 

Alanyaspor gegen Sivasspor. Fussball in der Türkei. Süper Lig! Noch nie live gesehen. Mit den als heissblütig bekannten Fans. Die Strasse, die zum Stadion führt, ist gesäumt mit Militärpolizisten mit Schildern und Maschinengewehren. Die Stimmung ist angespannt. Bei mir. Weil ich kaum Fans sehe, die stadionwärts pilgern. Unmittelbar vor dem Stadyumu (warum nicht Stadyümü?) hat es noch freie Parkplätze. Kein Andrang? Ein nett gepanzertes Militärbürschchen deutet, ich könne das Auto gleich hier abstellen. Direkt neben dem Fanshop. Und „Basel“, sagt er zu mir, und „Young Boys“. Im Fanshop-Container wartet man gelangweilt auf Kunden. Eine halbe Stunde vor Anpfiff. Wo sind sie alle, die Bösen?  Beim Drehkreuz werde ich freundlich begrüsst – lockere Stimmung. Dann bin ich im Stadion. Und ich bin gleich überwältigt. Die Kapazität des gepflegten Ovals beträgt wohl etwa 10`000 Zuschauer – gefüllt ist es zu einem Viertel… Die Gladiatoren betreten das Feld. Das Grüppchen der Ultras hinter dem Tor getraut sich zu melden. Einer hat eine kleine Trommel dabei. Die Mannschaften stellen sich vor der Haupttribüne auf, die Zuschauer erheben sich, und die Nationalhymne wird abgespielt. Dann Anpfiff… und nach 90 Minuten Abpfiff. Die etwas weniger verhalten spielende Mannschaft hat mit 1 : 0 gewonnen. Anschliessend und endlich kommt es zu den von mir herbeigesehnten Ausschreitungen. Zur stillen Ausschreitung der Zuschauer aus dem Stadion. Brav wie Engel. Jetzt erklärt sich mir auch die Beschilderung der Toiletten. Alle sind nämlich für ihr Pausenpipi durch die mit „Engeli“ beschriftete Tür gegangen. Und doch noch: Auf dem Stadionvorplatz steigt Rauch auf! Hingehen!    Es ist der Rauch der Teekocher  und Köftebrater. Süper Lig – süperschön! 







 

Einen Sprung weiter. Vorbei an den leeren Fünfstern-Hotel-Spa-Fun-Pool-Resort-Holyday-Zucker-Ungeheuern von Antalya. Nach 100km eine Strasse hinunter zum Meer. Wald, hohe Felsen, ein Bach zwängt sich hindurch. Und ein kleines Holz- und Baumhüttendorf. Und Regen, heute mal. Der Gemeindepräsident heisst die Besucher willkommen. Der wahre Chef ist aber Kadir, der vor vielen Jahren damit begonnen hat, dieses „andere“ Feriendorf aufzubauen. Mitten im Dezember sind nur wenige Leute da, aus Portugal, aus Turkmenistan, aus den USA, aus Marokko, aus der Türkei… Von interessanten, schrägen Vögeln, die vor einem Jahr die „Doors“ entdeckt haben oder mit denen man über Verschiedenstes reden und lachen kann bis zu den Überkorrekten, die „Oh, did you enjoy your day?“ fragen, ohne es wirklich wissen zu wollen, die schon beim Anblick eines Weinglases meinen, Lungenkrebs zu kriegen und für alles und nichts „Thank you so much!“ sagen. Kadir`s tree houses sind süper, und süper ist auch die kleine Migros-Filiale weiter oben, die von Kondomen bis Alkohol alles anbietet.   







 

Dass ich so lange in der Türkiye bleiben werde, habe ich anfangs nicht gedacht.  Ich habe hier vor ein paar Jahren zu viele Hurra-Rufe von der falschen Seite gehört. Und gekapptes Internet und schikanöse Grenzkontrollen erlebt. Die Menschen wirken jetzt freier. Sie haben etwas kapiert, und sie erleben jetzt die Folgen des Egoganismus. Ich bin einer der Wenigen, die davon profitieren. Die sich im freien Fall befindliche Lira ermöglicht mir als starker Schweizer(franken) ein sehr günstiges Leben. (Weiter, Erdi, schinde sie!) Ich könnte locker zur Migros hinauf spazieren, fünf Flaschen Whisky aus dem Gestell nehmen und an der Kasse sagen: „Bitte geben Sie mir noch ein Kilo Kondome. Nein, nicht die mit Granatapfelgeschmack, die feuchten, die mit syrischem Kurdenblut“. Und mein Business ist immer noch running. Die erworbenen Hektaren hinter der Traumbucht. Mich braucht es nicht mehr vor Ort. Die Zusammenarbeit mit Tamoil (Azerbaidschan) ist erfolgreich. Die Experten sind auf dünne Erdöladern gestossen. Wo bis vor kurzer Zeit noch Oliven- und Orangenbäume standen, züngeln jetzt kleine Flammen aus dem steinigen Untergrund. SATILIK! Bezahlt wird aber nicht mit Türkischen Lira!