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Montag, 10. Januar 2022

The Rising Soul

 




 

 

Deutsch: Die reisende Seele

 

„Die Seele fährt mit“, habe ich in einem früheren Kapitel geschrieben. Doch sie fährt nicht nur mit – sie ist es, die reist und reisen will. Sie will Nomadin sein. Ich bin gerne dabei und begleite sie. Ich stelle ihr ein fahrendes Haus zur Verfügung. Gaspedal, Bremse und Steuerrad sind mein Mitspracherecht. Zusammen sind wir ein gutes Team. Wir erleben Glück.

Die Route wird an Izmir vorbeiführen. Oder nach Izmir? – Camping in der Grossstadt, Fussball in der Grossstadt, und wenn es möglich ist, eine Werkstatt finden, die sich auf amerikanische Autos versteht. Es geht um Elektronikprobleme, die mir das Fahren seit einigen Jahren nicht verunmöglicht haben, die in der Schweiz zu entsprechend hohem Preis reparieren zu lassen ich mich aber scheute.

Im Internet suche und finde ich eine Chevrolet-Garage, die ich am Stadtrand von Izmir als erstes anpeile. „Wie bei uns“: Ein grosses Glasgebäude, darin glänzende Autos und sich langweilende Verkäufer-Tische, das Empfangs-Desk bietet mit roten Fingernägeln einen Kaffee an, eine Frau, ohne rote Nägel, führt den Staubwedel geduldig und planlos über den Marmorboden. Aber (Türkiye!) man hilft mir weiter. Der Werkstattchef greift zum Telephon, nach einem weiteren Käfeli tauchen zwei Typen auf, schwafeln mit und ohne Handy herum, geben mir eine Adresse und „Güle güle!“.

Ich lande in einem Viertel („nicht wie bei uns“…), das aus lauter Werkstätten besteht – Garagen, Felgen, Spengler, Auspuffrohre, enge und zugestellte Strassen, ein „Kuafför“ dazwischen, ein Kebabladen, ein grosses Gewusel , im Schachbrettmuster angelegt. Und hier soll sich eine Werkstatt für amerikanische Autos befinden… So ist es: „Engin Oto“, ein paar klassische Ami-Schlitten stehen auf engstem Raum. Dass der Name „Engin“ zu „engine“ passe, sei Zufall, was mein Problem sei und ob ich einen Tee oder einen Kaffee möchte. Okay, alles kein Problem, die erforderlichen Teile aus Ankara seien morgen da.  Sie verstehen sich in allem, sie kennen jedes Modell auswendig, die türkischen Amis. 14-jährig der Jüngste, in meinem Alter der Älteste. Man arbeitet nicht nur, man schwatzt und lacht, man trinkt Teeleins, und man geht zusammen essen um die Ecke (einfache und echte türkische Küche, bezahlen darf ich nichts). Bezahlen darf ich dann die Rechnung für Ersatzteile und Arbeit (sehr günstig). Doch beim Bezahlen passiert es! – Weil ich kein Einheimischer bin, brauchen sie für die korrekte Abrechnung meine Passnummer: „Du hast ja Geburtstag! Wir wollen feiern mit dir!“ Ein paar Jungs werden für Besorgungen ausgesandt, ein Werkzeugtisch wird geräumt und gereinigt, bald steht eine Torte darauf, und ich muss zum Happy-happy-Gesang des Männerchors die Kerzen auspusten. Oh, häppi-häppi güle-güle!











Die Festspiele nehmen ihre Fortsetzung: Süperlig, Göztepe (Izmir) gegen Karagümrük (Istanbul). Matchbericht: Der Bessere gewinnt. Der Neutrale geniesst`s. – Häppihäppi!



 

Der Abend steht bevor. Das Häppi-Glück ist übermütig, der Magen ist hungrig, und der Durst dürstet nach mehr. Allein im Wohnwagen Reis kochen? Sicher gibt es heute noch ein paar Kerzen mehr zum Auspusten. Vom Zentrum Izmirs habe ich ja noch nichts gesehen. Am besten mit dem Taxi hin. Keine islamische Zurückhaltung – die Stadt lebt. Die Menschen promenieren den Läden, Restaurants und Bars entlang. Der Jubilar bleibt bei der Wahl des Restaurants bescheiden und gönnt sich anschliessend in einem Coffee-shop einen doppelten Espresso. Ohne Cognac. „Bei uns immer ohne“, sagt Mohammed. Wodka, Whisky und natürlich Bier und Wein sind überall leicht zu bekommen, doch Cognac ist kein Türkentrank. Griechenland „links“, und Georgien und Armenien „rechts“ sind hervorragende Hersteller dieses goldbraunen Traubensaftes. Weiter. Der erste Ausgang der nunmehr 5-monatigen Reise! Der Hund ist zuhause und passt auf sich und das rolling home auf. Von der Hauptmeile aus rechts und links und rechts, und ich stehe vor der offenen Tür einer Bar. Die übliche Willkommensbegrüssung: „Hosgeldinis (welche ich für mich immer mit „loss Geld bi-n-is“ assoziiere…), woher kommst du, wir haben alles!“  Alles ausser Cognac, stelle ich fest. Die zwei, drei Jungs (sind auch Gäste da?) telephonieren herum. Wo gibt es Cognac zu kaufen? Ganz türkisch, der Fremde ist König. Letztlich muss ich mich doch mit Whisky zufrieden geben, und es wird palavert. Wie schon zweimal heute( Autowerkstatt und Fussballstadion) darf ich dann die Rechnung bezahlen. Wenig ist es nicht, doch man hat ja nicht jeden Tag… Und beim Bezahlen passiert es! Man will scheinbar bezüglich Bankkarte auf sicher gehen und möchte meinen Pass sehen. „Oh, happy birthday! Setz dich an dieses Tischchen, das will gefeiert sein!“ Und – oh Film, oh Wonne! – nach zehn Minuten steht eine Torte mit brennenden Kerzen vor mir, und der zweite Männerchor singt das obligate Lied! Ich puste und spendiere eine Runde Whisky, und es wird palavert. Und einkassiert. Das Karteneinlesegerät scheint nicht zu funktionieren, (was ich schon oft und vielerorts erlebt habe. Es gibt Tankstellen, die sicher sieben solcher Apparätlis nebeneinander aufgestellt haben.) Was nun in der türkischen Hast abgelaufen ist, kann ich nicht mehr sagen. Aber dass ich dann („my friend, du schuldest uns Geld!“) von zwei Typen zu einem Bancomat eskortiert werde, träume ich nicht. Wieder zurück zum Lokal. Wieder hin zum Bancomat. Mit Befehl, wie viel einzutippen sei. Ein weiterer Whisky als Belohnung…  Was tun? Nichts Falsches, denke ich. Nach der Polizei rufen? Keine Option, urteile ich. Irgendwann schaffe ich es, mich zu verabschieden. Gegenüber steht ein Taxi. Doch man hält mich davon ab einzusteigen, man will mich („my friend!“) chauffieren. Beim Wohnwagen angekommen geht es darum, dass einer bei mir übernachten möchte. Die Fassung bewahren! Ich kann`s abwenden, dafür darf ich mich auf einen Abholdienst am Mittag freuen. Abhauen? Oder werde ich bewacht? Ich schlafe schlecht. Der zweite Tag wird eine Wiederholung des ersten. Er endet wieder mit dem Gratistaxi nachhause. Für den dritten Tag ist wieder das Abholen am Mittag vereinbart. Sie rufen mich an: „Wir kommen“. Also ist jetzt niemand in der Nähe…  „Kommt erst um drei Uhr, ich muss unbedingt mit dem Hund nach draussen“. Der Trick funktioniert. In zehn Minuten bin ich weg, unterwegs Richtung Norden, Richtung griechische Grenze. 400 Kilometer. Der Chevi schnurrt nicht, er schnaubt. Um drei Uhr erhalte ich einen Anruf: „Wo bist du?“ „Bin unterwegs nach Bodrum“. (= falsche Richtung) Eine Nacht im Dunkel hinter abgestellten Lastwagen soll die letzte in der Türkei sein. Am nächsten Tag erreiche ich mit frisch gemachtem Covid-Test die türkisch-griechische Grenze. Aber ohne Geld und mit ihren Dienst verweigernder Bankkarte.


 

Heute, eine gute Woche danach, schreibe ich: Viele Grüsse aus dem lieben Kreta! Wir sind vorerst vor allem zur Erholung hier. Der Hund, die Seele und ich. Der Hund hat während dieser kritischen Tage nur das Nötigste gekriegt und hat dieses Schicksal angenommen. Auch vor vier Jahren hatte er das Schicksal angenommen, als er sich entschied, sich mir anzuschliessen. Seinen griechischen Namen hatte er ebenfalls sofort angenommen: Grameno (deutsch: Schicksal). Und die Seele? Sie soll jetzt einen Namen erhalten: Gramena! Auch sie ist in jenen Tagen vernachlässigt worden und hat sich wie der Hund in eine Ecke verzogen. Sie ist ignoriert worden, und der Steuermann hat getan oder nicht getan, was er für das Beste hielt. Wie der Autopilot im Flugzeug, der bei misslichen Bedingungen die Führung übernimmt, ohne die Crew. Nach dem überstandenen Unwetter kommt das Erwachen: Der Pilot schüttelt sich, der Hund zeigt seine Unzufriedenheit – und die Seele regt sich. Eben: Wir sind uns am Erholen. Grameno, Gramena und ich. Wir sind ungebrochen, denn die 3-tägige Halbgefangenschaft und Plünderung soll nur ein schlechtes Erlebnis bleiben, welches die Vielzahl guter Erlebnisse und Erfahrungen nicht beeinträchtigen darf.