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Dienstag, 17. Mai 2022

Kalo taxidi

 






 

„Gute Reise“

 

Die Wiesenmulde, in der eingebettet ich die Monate Januar bis April verbracht habe, haben einige Kreter „Loch“ genannt. Man müsste doch hoch oben sein und eine grossartige Aussicht haben. Inzwischen bin ich oben – oberhalb eines kleinen Dorfes, das am Abhang klebt, wo ich keinen Kaffee trinken kann, ohne auf Hügel, Olivenhaine und das Meer hinunterzuschauen. An der Hauptstrasse weist die Tafel „Piza“ den Weg. Mit englischen Buchstaben, wie man sie hier nennt, heisst das dann „Riza“. Bestehend aus einigen Häusern, einigen Einwohnern (ab Alter 50), einer Taverna (die Wirtin heisst Lefki – die Weisse), einigen Pickups (bis Alter ??) und einer Wasserzisterne. Gleich daneben wohne ich – mit privatem Wasserhahn. Die Taverne hat keine Karte, es gibt, was es gibt (Bohnen, Patatas, Spinat, Kichererbsen) und genug Raki für alle. Einer der Einwohner ist Vangelis, gegen 70, stur und liebenswürdig, alleinlebend (irgendwann verabschieden sich die Frauen von den Oliven- und Raki-Helden), und er träumt von einer Frau zwischen 30 und 40. Manchmal taucht er auf, hat Bohnen oder Zitronen dabei und das „R“-Getränk in einer Cola-Flasche, die Zigaretten sind grad ausgegangen, den Schnaps mischt er mit Wasser (man schluckt ja eine Pille auch besser mit Wasser). Im Wohnwagen schaut er fast beharrlich auf die an der Wand hängende Europa-Karte und möchte von jedem Land die Hauptstadt und die Einwohnerzahl wissen. Vieles weiss er aber: dass Grönland noch weiter oben liegen muss oder dass die Fürstin von Monaco Grace Kelly hiess. Dass Putin ein „malaca“ ist und dass die Benzinpreise in Albanien tiefer sind. Neben dem Rauschen des Zisternenwassers beschliessen wir den Abend mit einem gemeinsamen Pissen – ich schwanke mehr als er. (Er muss ja schliesslich noch die Kurven nach Hause erwischen.)


Viele Kurven weiter oben liegt das Dorf Christos. Mit einer noch fantastischeren Aussicht weit hinunter zum Meer. Weitere Aussichten gibt es hier aber nicht. Auf dem Dorfrundgang treffe ich auf: eine Kirche, leere und verfallende Häuser mit verschlossenen Türen, zwei kläffende Hunde, drei unfahrbare Autos und keine Menschen. Die letzten Bewohner werden wohl in einem Vorort von Hiraklion oder Athen leben – mit anderer Aussicht.








 

Für mich fällt die Türe auch bald ins Schloss. Die Zahnprothese ist fertig, das Wetter wird bald zu heiss, die Fähre ist gebucht. Nach 152 Tagen Kreta und insgesamt 333 Tagen durch 16 Länder und Weg und Ziel und Was-auch-immer müsste ich nach einem Monat mit weiss strahlendem Lächeln im Grüezi-Land eintreffen. Der abgedroschene Spruch „Der Weg ist das Ziel“ mag halt doch seine Wahrheit haben.