Kurz vor Weihnachten Ankunft in Spanien.
Schön für den pathologischen Kältehasser, wie die Temperatur bei jeder Etappe durch Frankreich spürbar zunimmt. Der erste Platz in Spanien: ein „Waldrändli-Platz“. Das Laub knistert nicht mehr, es raschelt – die Seele freut sich.
In der Region von Valencia ist es schon ziemlich warm. Allerdings mag ich mich nicht an der Küste aufhalten, denn die Küstengebiete sind, wirtschaftlich und touristisch bedingt, für mich nicht die erste Wahl. Nicht einladend genug. Es halten sich hier auch viele „fast Gleichgesinnte“ mit ihren Wohnmobilen auf. Das Meer, das Meer! Oft begeben sie sich auf eingezäunte Plätze, eingepfercht für 10 Euro die Nacht, dafür Wasser und nette Nachbarn inklusive. Fährt man weg von der Küste und ein paar Schlaufen den ersten Hügelzug hinauf, findet man genug schöne Plätze und wird nie von der Guardia Civil verscheucht.
Da ich mich immer noch auf die gute, alte Strassenkarte stütze, suche ich die kleinen, blauen Flecken darauf, die „Embalses“. So heissen die zahlreichen Stauseen, die es über ganz Spanien verteilt gibt. Meist sind sie fast leer, so dass sich um sie herum ein Gürtel bildet, eine Art Prärie, mit Baumgruppen, dort, wo eigentlich das Ufer wäre. Es ist leicht, sich einen ruhigen Platz für ein paar Tage auszusuchen.
Ich erinnere mich an 1964. Familienreise mit dem DKW (Deutscher Kraftwagen). Der Küste entlang bis nach Gibraltar haben wir es geschafft. Übernachtet haben wir im Freien. Die Mutter, die kleine Schwester (4-jährig) und ich (11 Jahre alt) irgendwie quer im Auto liegend, der Vater draussen auf einer einfachen Liege. Low budget. Es dünkt mich, ich führe diese Tradition des Reisens weiter, zwar mit etwas mehr Komfort. Zugegeben: dem Vater abgeguckt! Auch er wollte mit der einfachen Art des Reisens den Dingen nahe kommen. Es war wichtig für ihn, mit einem Schafhirten ins Gespräch zu kommen und so von ihm etwas zu erfahren über die Zeit im Franco-Regime. Oder ihn einfach als Menschen in dessen Leben wahrzunehmen. Das Leben und die Geschichte eines Schafhirten in Andalusien oder eines Mönches in Frankreich interessierte und beeindruckte ihn. Ich habe viele Erinnerungen, wie er in der Natur an einem „Plätzli“, wie er es nannte, eine Büchse Ravioli oder Linsen warm machte („abkochen“ war sein Wort dafür) und dabei seine zufriedene und auch fürsorgliche Seite zeigte.
Spanien könnte man auch anders nennen – nämlich „Britain South“. Die Hundespaziergänger sprechen Englisch. „We live here, we have a house here“. Auch in kleinen Dörfern sind die Einkaufsläden auf ihre Kundschaft eingestellt: grosse Auswahl an Pommes Chips, sowie an Hunde- und Katzennahrung.
Ausser den Engländern („Buy your property!“) und den mitteleuropäischen Wohnmobilrentnern zieht Spanien im Januar noch ganz spezielle Gäste an: Fussballclubs aus Deutschland und der Schweiz, die bei angenehmen Temperaturen ein Trainingslager abhalten. Sagen wir, es sei einfach nur Zufall, dass sich „mein“ FC St.Gallen 15km von meinem Standort entfernt auf die Rückrunde vorbereitet. Danke an Lukas Görtler, dass ich bei seinem Einzelschusstraining der Balljunge sein konnte (nicht einfach, diese schweren Kugeln zurückzuspedieren!) und danke an den Präsidenten, der mir anvertraut hat, mit ihnen werde noch zu rechnen sein.
Das Leben in einem fast ausgetrockneten Stausee. Nur in der Mitte befindet sich noch ein Rest von Wasser. Warum geht mir in diesen Tagen hier immer das Wort „Sehnsucht“ durch den Kopf? Dazu das Zitat: „A jeder Mensch hat halt sei` Sehnsucht“. Von Gerhart Hauptmann, glaube ich. Es muss das Bild sein, das ich vor mir sehe, in welchem ich mich selber befinde. Ein See, der von seinem Ufer begrenzt ist, doch diese Begrenzung wirkt absurd, da sich der See so weit zurückgezogen hat, dass sie sich erübrigt. Wo ist seine Sehnsucht? Hat er sie noch? Sieht er die Hügel noch in weiterer Entfernung? Möchte er befreit werden, auf die Gefahr hin, dass es ihn dann als See erst recht nicht mehr gäbe? Geht es mir um den See oder um mich, der sich auf dem trockenen Uferboden eingerichtet hat? Jedenfalls geht es um Sehnsucht. „A jeder Mensch hat halt sei` Sehnsucht“. Diese ist einer der schönern Antriebe, die wir haben. Und alle haben diesen Antrieb, wenn wir Gerhart Hauptmann glauben. A jeder Mensch hat ihn. Die Sehnsucht als zarter Wunsch, als feiner Antrieb. Sie kann zielgerichtet und klar bewusst sein. So erfahre ich sie durch die drei „W“. WWW: die Weite, die Wärme, das Wilde. WorldWildWarmth… Sie kann auch unbewusst und einfach da sein. Sie kann Ausdruck finden oder nicht. Obwohl sie ein gutes Grundgefühl darstellt, kann sie auch quälen. Was will sie? Was fehlt ihr? Muss ich etwas tun? Die drei „W“ betreffend ist es naheliegend: reisen. Doch eigentlich muss man in der Mehrzahl von ihr sprechen – von den Sehnsüchten. Wenn ich eine stille, gibt es ja noch andere. Welche will und kann ich stillen, welche nicht, und welche kann ich einfach als friedliches Gefühl vor sich hin schlummern lassen? Der kleine See hinter mir, der heute, weil es regnet, ganz nass wird, gibt nur eine Antwort: „Nur etwas darfst du mit der Sehnsucht keinesfalls tun: sie unterdrücken oder abtöten!“