Anfang November. Metsovo, Nordgriechenland.
Nach zwei Wochen ist es soweit – das ersehnte Teil ist in Ioannina eingetroffen, und es kann weitergehen Richtung Süden und Wärme. Nicht mehr als 100km im Tag zu fahren ist weniger ein Vorsatz als mehr das Gebot der mitreisenden Seele. Denn 100km zurückzulegen heisst an 1000 Orten vorbeizukommen, 1000 Orte an sich vorüberziehen zu lassen. Gemeint sind damit nicht Ortschaften, sondern einfach Orte. Orte, wo seit Jahren dieselbe Baumgruppe steht, wo ein ausgedienter Traktor vor sich hin rostet, wo Hunde dem Strassenrand entlang lümmeln, wo pakistanische Arbeiter Säcke mit Oliven befüllen oder wo nichts geschieht, aber eben etwas ist. Es gibt immer Menschen, die diese Orte kennen, die vertraut sind mit ihnen, die vielleicht gar keine andern Orte kennen, Menschen, die von hier sind. Wo ist denn mein Ort? „Wo gehöre ich denn hin?“, frage ich mich manchmal. Welches ist der Antrieb dahinter, nirgendwo hin zu „gehören“? Ich bin nicht Berner (dort bin ich aufgewachsen), ich bin nicht St.Galler (dort habe ich die grösste Zeit des Lebens verbracht), ich bin auch nicht Nomade (ich bin nur viel und gerne unterwegs). Eine Antwort will ich nicht finden, ich möchte es belassen beim „Es ist wie es ist“.
Über die grosse Hängebrücke gelange ich nach Patras und damit auf den Peloponnes. Erinnerungen werden wach an das Jahr 1972, als ich knappe 19 Jahre alt war und wir auf einer von den Lehrern organisierten Reise hier mit dem Schiff anlegten. Erinnerungen an den ersten Schluck Ouzo („Ist das Alkohol oder ein starker Anis-Sirup“?), Erinnerungen, wie schwierig es damals in der Zeit der Militärdiktatur war, Milch fürs Frühstück zu bekommen, sowie Erinnerungen an die unübersehbaren Plakate des Regimes. Exotisch für uns Burschen mit den langen Haaren und die Mädchen mit den kurzen Röcken. Gerade wegen diesen Erinnerungen ist der Peloponnes etwas Besonderes. Es ist nicht nur ein Ankommen in einem andern Teil der EU, in einem andern Teil des geglätteten Europa. Es ist auch ein Rückwärts-Ankommen in einer andern Zeit. Der 70-Jährige trifft den 19-Jährigen! Jetzt mit Chevrolet und Wohnwagen, damals nach einer windigen Nacht mit Luftmatratze und Schlafsack auf dem Schiffsdeck. (Eva hiess sie, neben deren Luftmatratze die meinige zu liegen kam.)
Bei einem alten, leeren Steinhäuschen, natürlich mit Olivenbäumen rundherum, finde ich einen Platz für mich. Doch am zweiten Tag werde ich verscheucht. Der Mann erklärt mir, das sei ein archäologischer (!) Platz, Campieren sei hier nicht erlaubt. Ich muss innerlich schmunzeln, erstens weil gar nichts auf dergleichen hindeutet, und zweitens, weil er es 10 mal wiederholt, obwohl ich mich schon beim ersten Mal sofort bereit erkläre, das Feld zu räumen. Er hat wohl eine längere Diskussion erwartet und muss nun diese quasi alleine führen.
In Methoni, an einem der südlichen Zipfel des Peloponnes, ist das Wetter schön, tagsüber gut 20 Grad, in der Nacht kühlt es ab.
Über Kalamata gelange ich auf den nächsten Zipfel, zu der Kleinstadt Areopoli. Aber das Wetter hat sich jetzt geändert. Es regnet jeden Tag, manchmal sehr stark. Einige Wassertropfen finden den Weg ins Wohnwageninnere, was die Stimmung nicht aufheitert. Ein Glücksfall in dieser Situation, dass ich in der Nähe an einer nicht betriebenen Tankstelle einen Unterstand finde. Die Wettervorhersage verspricht keine Besserung für die nächste Woche. (Ich habe ein Dach, ich kann heizen, ich kann kochen… und ich habe ein Fläschli Metaxa gekauft…)
Nachdem das schlimmste Wetter überstanden ist, geht es in die kleine Hafenstadt Githio. Von hier aus verkehrt einmal wöchentlich eine Fähre nach Kreta. Und Kreta muss (!) das Ziel sein. Die Überfahrt ist gebucht – in 10 Tagen wird rübergeschifft.